Sonntag, 11. April 2010

Peak Furmanova

Ein Engländer, ein Kasachstan-Russe und zwei Deutsche geh'n auf'n Berg... was klingt wie ein Witz hat mir eine im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubende Bergtour beschert.

Aber von vorn:
Am schönen frühen Samstagmorgen traf ich mich mit Heiko, seinem Schwager David und Aggj von letzter Woche. Wir wollten eine moderate Bergtour machen, das Wetter war ganz gut angesagt und wir sind früh los, damit der Schnee von der nächtlichen Kälte noch schön fest ist und man nicht bei jedem Schritt einsinkt.
8:30 wahren wir am Ausgangspunkt und marschierten los. Die Sonne strahlteso stark, dass man gleich auch Sonnencreme gebraucht hat. Wir waren bei Weitem nicht die Einzigen, aber zum Glück gab es genug Natur für alle. Auch unsere Vierergruppe zog sich schnell auseinander. Aggj und Heiko marschierten im Profi-Tempo vorneweg und David und ich hatten Mühe, den Abstand nicht zu groß werden zu lassen.Der Schnee war tatsächlich fest, will heißen, man sackte nur leicht ein. Aber einen steilen Anstieg mit immer wieder einsackenden Schuhen zu bewältigen, gehört nun auch nicht zu den großen Freuden der Menschheit. Zu dem Zeitpunkt wusste ich nur noch nicht, was mich noch erwarten würde.
Also optimale Vorbereitung für den heutigen Tag hatte ich mir ein Schokomüsli gegönnt. Das lag mir allerdings echt schwer im Magen und ich fühlte mich alles andere als in Hochform. Die Sonne war ansich angenehm, man konnte sogar die Jacke ausziehen und im Pullover wandern. So eine fette, gefütterte Winterjacke im Rucksack machte die Sache dann aber auch nicht einfacher. Schnell schmerzten mir die Schultern. Der Schweiß rann in Sturzbächen durch mein Gesicht, ich hielt den Blick gesenkt, um 1. nicht von der sich im vielen Schnee reklektierenden Sonne geblendet zu werden und um 2. die Spuren meiner Vorgänger nachtreten zu können, damit ich nicht unnötig Energie verlor. Sobald ich nämlich mal hochschaute, hatte ich die Spur verloren und bemühte mich, wieder linke Spur mit linkem Fuß zuzuordnen. Und eine minimale Abweichung von der Spur hatte auch schnell ein Versinken bis zum Hintern im Schnee zur Folge.
So wanderten wir wortkarg und nur begleitet vom knarksenden Schnee 2,5 Stunden bergauf, am Rande einer Schneelawine von letzter Woche. Die Leute, die wir überholten, bzw., die uns überholten waren alle um Längen älter als wir. 2 Damen in den 70ern hörten wir laut schnatternd schon von weitem, beide ohne Stöcker und fröhlich beschwingt daherwandernd, wo wir nur noch schnaufen konnten.
Dann kamen wir an eine geeignete Picknickstelle und machten 2. Frühstück.

Hier dachte ich noch, wir wären schon auf dem Gipfel:
3 Herren im Schnee - kauend:
Die Aussicht war leider sehr trübe. Man konnte zwar die Stadt unterhalb der Berge erkennen, aber auch die Decke aus Smog. Auch dahinter die Steppe und der Horizont waren nur verschwommen erkennbar. Aber der Blick nach oben in Richtung unserem Gipfel war klar und der Schnee glänzte in der Sonne und sehr eindrucksvoll hat man die Risse früherer Lawinen gesehen.
Einen richtigen Weg gab es nicht mehr, man folgte einfach den Spuren der Vorgänger und vertraute darauf, dass die den richtigen Weg gekannt haben. Wenn ich im Nachhinein sehe, wie nah wir an der Kante entlang gelaufen sind, weiß ich nicht genau, wie sicher das war. Dadurch, dass Aggj vorne gelaufen ist, fühlte ich mich jedenfalls nicht gefährdet.
Mit zunehmender Wärme wurde auch der Schnee weicher und ein Versinken ließ sich kaum noch vermeiden. Nicht selten verlor einer von uns plötzlich ein Bein im metertiefen Schnee. Als Hinten-laufender hatte man immerhin die Chance, die Einsturzlöcher der anderen zu sehen und selbst einen anderen Weg zu finden. Aber meist war man ausgeliefert, versuchte sich zu befreien (was meiste die ganze Kraft des freien Oberschenkels kostete) und nicht mit dem nächsten Schritt gleich wieder einzusinken. Wiederum war mein Blick starr auf den Boden gerichtet. Viel bekam ich da nicht mit vom Bergpanorama. Vielmehr war ich abgelenkt durch meine Gedanken an weitaus angenehmere Aktivitäten und verfluchte den Berg und versuchte mich zu erinnern, warum ich so scharf auf Bergtouren war. Jeder Schritt musste mühsam erkämpft werden, die Luft wurde dünner, der Puls schneller, der Rucksack schwerer und der Schnee weicher. Und der Gipfel war noch sooo weit weg.
Während David und ich uns noch mühsam im Zeitlupentempo durch die Senke kämpften, waren Heiko&Aggj schon am nächsten Picknick-Punkt und hatten genug Energie für Faxen.
Man beachte David&mich im Hintergrund:
Als wir dann nach einer gefühlten Ewigkeit auch an diesem Platz angekommen waren und ich den Rucksack von mir werfen konnte, hatte auch ich Spaß und komischerweise überschüssige Energie für lustige Stunts. Und so verbrachten wir eine halbe Stunde damit, in den wildesten Posen von diesem Felsen zu springen.


Aggj meinte treffend (in seinem amüsanten Deutsch), wenn wir in einem Computerspiel wären, hätten wir jetzt durch die ganzen Sprünge sicher eines unserer 3 Leben verloren.
Überhaupt war es für mich ganz fremd, 2 Nicht-Deutsche (also Aggj und David) sich auf Deutsch unterhalten zu hören. Dabei können beide englisch. Da hab ich mich schon ein bisschen für meine Muttersprache gefreut und zum Glück sind die beiden auch nicht böse gewesen, als ich mich minutenlang über den Begriff "Zeichenstrickfilm" kringelig gelacht hab.
Aber mit dem Lachen war es schnell vorbei, als die letzte Etappe bis zum Gipfel anstand. David mussten wir mit einem Oberschenkel-Krampf am "Basislager" zurücklassen. Wenn man bei einem Neigungswinkel von knapp 45Grad mit jedem Schritt einen Meter im Schnee versinkt, kriegt man das blanke, kalte Kotzen. (man möge mir diesen Ausdruck verzeihen).
Allein der nahe, rufende Gipfel hält einen da noch bei der Stange.
Heiko&Aggj waren schon auf und davon, ich kämpfte mich alleine Zentimeter für Zentimeter vorwärts, einen Schritt voran und einen Meter nach unten, die Oberschenkel brannten, die Schultern schmerzten, der Puls raste und ich musste immer wieder japsend stehen bleiben.
Weiter oben wurde der Untergrund felsig, man ist zwar nicht mehr so tief im Schnee versunken, dafür lief man Gefahr, sich den Knöchel zu brechen. Also einen Schritt vorwärts, testen, ob der Stein fest ist und nicht rutschig, belasten, anhalten, nächsten Stein suchen. Die Wanderstöcke erwiesen sich jetzt als hinderlich, weil man besser auf allen Vieren nach Halt suchte. Die letzten Meter waren eine Tortur. Was mich antrieb war allein das nahe Ziel, Spaß hatte ich schon lange nicht mehr.
Und dann war ich da, nach 5 Stunden auf dem großzügigen Gipfel des Peak Furmanova, einem kleinen Gipfel im Tien Shan-Gebirge, aber für mich der Mount Everest. Und mit 3100m der höchste Berg, den ich je erklommen habe.
Auf den letzten Metern ist es empfindlich kalt&windig geworden, also rein in die schwere, dicke Winterjacke, die ich mühsam bis hierher gebuckelt hatte, Mütze auf und den besten Müsliriegel aller Zeiten verdrückt.
Nach einer halben Stunde Picknick, bei dem wir alle unsere Schätze zusammentrugen, war es vor Kälte nicht mehr auszuhalten, also schnell ein Gipfelbild gemacht...
... und hier als Beweis die nicht-vorhandene Aussicht...
...und dann gings den steilen Hang wieder hinab. Hat man hochzu mit einem Schritt 30cm bewältigt, kam man bergab mit einem Schritt gleich 2m weit, wenn man sich dazu passend in den weichen Schnee fallen ließ und kontrolliert rutschte. DAS war ein Spaß :-)
Für den letzten Teil hatten wir 1,5 Stunden bergauf gebraucht und 15Minuten zurück, um wieder an der gleichen Stelle anzukommen, wo wir David zurückgelassen hatten.
Der hatte sich inzwischen mit ein paar Locals, die zufällig mal englisch konnten, angefreundet. Und dann ging's mit großen Schritten und bester Laune trotz trüben Wetters wieder zurück.
Hatte ich eben noch Frust beim Bergauf-Klettern verspürt? Jetzt war alles vergessen, das Hochgefühl beim Erreichen des Gipfel hatte mich für alles entschädigt. Jetzt fand ich es sogar lustig, wie wir nacheinander in den immer weicher werdenden Schnee sackten (es war bereits weit nach Mittag). Immer wenn einer über den anderen lachte, sackte er beim nächsten Schritt ebenfalls ein. Und wenn man den Fuß nicht unmittelbar wieder herauszog, sondern kurz zu Ende lachte, war er schon festgefroren und man konnte sich teilweise nur auf-dem-Bauch-rollend befreien. Was für eine Freude!

Einen Teil haben wir auf dem Hosenboden-rutschend hinter uns gebracht, wo ich danach dachte, ich hätte eine ganze Hautschicht eingebüst.
Und wie man sieht, hat auch die Sonne, die zwar in der zweiten Tageshälfte verschwunden war, ihre Spuren hinterlassen:
Nach 8 Stunden erreichten wir unsere Talstation, waren alle furchtbar kaputt (naja, außer Aggj wahrscheinlich) und erzählten uns gegenseitig Geschichten, was ein jeder jetzt am Nötigsten brauchte (von Badewanne bis halbes Schwein war alles dabei).

Und nächste Woche geht's lieber erstmal wieder in die Steppe ;-)

2 Kommentare:

  1. Wow, was für eine Tour, Respekt!!!! Da lachst Du doch über unser Gehüpfe im Studio! Ich hätte bergauf wohl nicht durchgehalten, aber so einen dollen Abstieg würde ich auch gerne machen, da kann ich mir gut vorstellen, daß das ein Riesenspaß war! Was macht eigentlich der Job, kämpfst Du noch mit der kasachischen Arbeitsweise? Wie sind die Kollegen so? Liebe Grüße aus dem wechselhaften Aprilwetter in Duisburg, Nadine (+Männer)

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  2. Hey Hu,

    eigentlich dachte ich, ich kann nach diesem Winter hier keinen Schnee mehr sehen, aber das sind wirklich beeindruckende Bilder. Da meint man zu sehen, wie dünn die Luft dort oben ist. Zumal, wenn man den Text dazu liest. Hut ab vor Deiner Kondition.
    Wie haben sich eigentlich Deine Russischkenntnisse entwickelt? Oder brauchst Du die eh nur beim Einkaufen?

    Laß´ Dich drücken und grüßen
    von D.T.S.

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