Nachdem ich an den letzten Wochenenden ausreichend die Berge genossen hatte, war es jetzt mal wieder Zeit für ein paar Steppenerfahrungen.
Auf dem Programm stand eine 1-Tages-Tour zu einer großen Ansammlung uralter Felszeichnungen, welche zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt wurden und etwa 50% der Sehenswürdigkeiten Kasachstans ausmachen.
Okay, bei der letzten Gelegenheit, Felszeichnungen zu betrachten, war ich nicht recht in der Stimmung. Diesmal allerdings versprach es in Verbindung mit einem Spaziergang und Picknick etwas naturnaher zu sein. Zumal es diesmal auch „die echten“ Felszeichnungen sein sollten. Katja, eine Bayer-Kollegin, sollte eigentlich am Freitag ihre Dienstreise beendet haben, durfte aber aus den bekannten Gründen nicht ausfliegen und so hab ich ihr kurzerhand auch noch einen Platz im Bus organisiert. Wie sich später herausstellte, war sie nicht die einzige „Gestrandete“, die sich mit dieser Tour die Zeit vertrieb. Wir waren eine illustre Runde aus 7 Deutschen und dem russischen Fahrer, der zunehmend mürrischer wurde, weil natürlich den ganzen Tag auf Deutsch geplappert wurde. Er wurde aus irgendeinem Grund sogar so sauer, dass er uns auf dem Rückweg verweigerte, eine kurze Pause an einem Denkmal einzulegen.
Aber erstmal brachte er uns sicher aus dem verregneten, grauen Almaty raus in Richtung Westen, wo dann das Wetter zusehends schöner wurde. Die Straße jedoch wurde mit zunehmender Entfernung schlechter und unser Tempo langsamer. So brauchten wir knappe 4 Stunden, bis wir die 180km hinter uns gebracht hatten. Allerdings hatten wir uns im Auto genug zu erzählen und so wurde die Zeit nicht lang.
Angekommen in Tamgaly Tas (irgendwie schien der Ort keinen Namen zu haben, denn Tamgaly Tas bedeutet auch nur „uralte Felszeichnungen aus grauer Vorzeit“ auf Kasachisch und die letzten Felszeichnungen am Ile-Fluss mit dem Buddha, hießen auch Tamgaly und wenn ich nach der Tour jemandem erzählt habe, wo ich war, hat keiner gewusst, was ich meine, dabei sollte man meinen, dass die Leute wissen, wo sich ihre nächste UNESCO-Weltkulturerbe-Site befindet…), also jedenfalls, angekommen am Ort der 5000 uralten Felszeichnungen mussten wir ernüchtert feststellen, dass es anscheinend ein beliebtes Ausflugsziel für Schulklassen war, denn die Landschaft war bevölkert mit lauten, minderjährigen Grüppchen aus 3,5 Reisebussen. Einige versuchten verzweifelt nacheinander ein Pony in den Galopp zu bringen, andere rannten johlend durch die Gegend und so ziemlich jeder versuchte, mit seinem Müll die Landschaft zu markieren.
Zum Glück waren aber alle im Aufbruch begriffen und so hatten wir den Guide Azamat zu unserer Verfügung.
Azamat wohnte im nahegelegenen Dorf, das aus 5 Häusern bestand. Er war viele Jahre lang Parkwächter, Einlasser, Fremdenführer und Bewahrer der Felszeichnungen gewesen. Tagein, tagaus begrüßte er die Gäste, knöpfte ihnen das Eintrittsgeld ab und führte sie auf Wunsch herum. Als das Gelände dann eines Tages in den Olymp erhoben werden und den Titel UNESCO-Weltkulturerbe bekommen sollte, mussten natürlich auch die erforderlichen internationalen Anforderungen erfüllt werden. Dabei ging es um Beschilderung, sichere Wegführung, Parkplatzvorhaltung, Abfallentsorgung usw. Und vor allem gehörte es dazu, dass die Aufsicht über das Gelände ein Diplom-Archäologe innehatte, schließlich wüsste nur ein Akademiker vom Fach, wie die Zeichnungen richtig gedeutet und bewahrt werden könnten. Nun, um alles hatte sich Azamat gekümmert, er hatte Wege angelegt, er hatte die Wege mit Pfeilen beschriftet, er hat ein Wärterhäuschen an den Parkplatz gestellt und eine Tonne für den Abfall bereitgestellt. Doch angesichts des Diplom-Archäologen hatte er berechtigte Sorgen, seinen Job zu verlieren, weil er eben ein einfacher Bauer bzw. Hirte war. Da es aber in einem 5-Häuser-Dorf keine andere Möglichkeit gab, sein Geld zu verdienen, hatte er sich umgehört und ist letztendlich mit folgendem Vorschlag an seinen Boss getreten (wahrscheinlich der Kulturminister von Kasachstan, noch wahrscheinlicher ein naher Verwandter des Präsidenten): Wenn er in 12 Monaten das Archäologie-Diplom nachweisen könne, könnte er da nicht seinen Job behalten? Und was sagte der Herr Kulturminister dazu? „Naja, geht’s nicht vielleicht auch ein bisschen schneller?“
Und so kam es, dass Azamat einen Monat später für 3000 US-Dollar Diplom-Archäologe wurde und alle waren glücklich und zufrieden.
Zu seiner Verteidigung muss man sagen, dass die Führung sehr interessant und unterhaltsam war. Er hatte eine gesunde, moderne Einstellung zu seinem Aufgabengebiet, bedauerte den Verfall und die Zerstörung durch Touristen, war gegen 2stöckige Hotels direkt vor Ort und konnte zu jedem Bild eine Geschichte erzählen. Dass man dabei nicht wusste, ob das seine Geschichte oder eine wissenschaftlich fundierte Ableitung war, war dabei gar nicht mehr so entscheidend.
Die Zeichnungen waren aus verschiedenen Epochen, die frühesten von 3000 v.Chr., manche Darstellungen enthielten Erweiterungen aus nachfolgenden Jahrhunderten und die modernsten (also abgesehen von den Schmierereien neuzeitlicher Halbstarker) waren aus dem Mittelalter.
Am Anfang ging es vor allem um Jagdtiere, immer mal wieder dazwischen eine menschenähnliche Gottheit, dann gab es Szenen aus dem sozialen und religiösen Leben und die unvermeidlichen „Erotika“, eine Art Kamasutra auf Kasachisch.
Erste einfache Steinböcke:
Schon etwas detailliertere Hirsche:Gerne auch immer Stiere:Ein typischer Opfer-Stier, die waren immer gefleckt:Worauf will uns dieses Schild hinweisen?
Genau, auf die menschenähnliche Gottheit, die hier verehrt wird:So fing alles an: Die Domestizierung der Pferde:
Dramatische Jagdszene: ein Beweis frühzeitlicher Jagd mit Hunden und Adlern:anderes wichtiges Hinweisschild:
Etwa 2 Stunden lang wandelten wir umher, bewunderten ehrfürchtig die „Zeichnungen“ (es waren ja keine gezeichneten Bilder sondern auf die Steinoberfläche gekratzte), lauschten fasziniert Azamats fragwürdigen Interpretationen und bewunderten die hügelige Landschaft, die nach Abfahrt der Schulklassen so friedlich dalag. Hier rief ein Wiedehopf, dort plärrte ein Kranich, über allem schien die Sonne und man konnte förmlich den Frühling riechen.
Ich auf einer ehemaligen Priesterkanzel. Angeblich kann man die Worte des Geistlichen hier bis ans Ende dieses Kessels hören.So schöööööön: blauer Himmel, kleine Wölkchen und der Horizont ganz weit weg.
Sogar die ersten Steppenblumen entdeckten wir. Die gemeine Steppentulpe, von der es viele hundert Unterarten gibt und die angeblich die Mutter aller Holland-Tulpen sein soll (obwohl die Holländer natürlich etwas anderes behaupten) und die blaue Iris.
Auch ein paar mutige Insekten sonnten sich.
Kaum zu unterscheiden, aber einer von beiden ist giftig:
Nachdem wir zum Abschluss noch ein wenig in der Sonne saßen, uns unterhielten und dabei den Blick verträumt in die Gegend schweifen ließen, begaben wir uns auf den Rückweg zum Auto, wo uns ein Picknick mit lokalen Köstlichkeiten erwartete. Es gab Fladenbrot, kasachischen Käse, Pony-Schinken (der seeeehr schmackhaft war), Salami, gekochte Eier, georgischen Wein, schwarzen Tee und zum Dessert Waffeleier, gefüllt mit gezuckerter Kondensmilch.
Dabei wurden wir die ganze Zeit von einem ganz hungrig aussehenden Tarzoi (dieser russische Jagdhund) belagert, den die anderen nicht lange leiden ließen (ich hatte damit nichts zu tun, ich füttere keine Hunde vom Tisch! Maggie kann’s bezeugen)
Nur zögernd nahmen wir Abschied von der schier endlos weiten Landschaft, die nun in verführerisches Dämmerungslicht gehüllt wurde. Wir fuhren vorbei an heimkehrenden Rinderherden und vielen Pferden mit vorwitzigen Fohlen und waren alle ein wenig müde von der vielen frischen, gesunden Luft.
Dass wir auf dem Rückweg noch am Denkmal für die Schlacht der Kasachen gegen die Dschungaren anhalten wollten, hatte unser Fahrer dann leider ignoriert (er meinte, es sei ja nun sowieso zu dunkel).
Zurück in Almaty wurden wir wiederum mit Regen empfangen und waren doch sehr froh, diesem in der Steppe entkommen gewesen zu sein.
Katja und ich ließen den Tag zünftig erst in einem Rockschuppen und später in DER In-Disco Almatys ausklingen und sie fand es ganz und gar nicht schlimm, an diesem Tag „gestrandet“ zu sein.
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Ach wie herrlich das alles klingt...
AntwortenLöschenDass du da ausgerechnet diese schönste aller Spinnen - die Röhrenspinne fotografiert hast, fasziniert mich sehr. Ist sie nicht süß lol
Was wird dort drüber eigentlich aus deinem Flexitariertum? Kannst und willst du das einhalten?
Dicken fetten Drücker nach Almaty für Dich.
Silva
Stimmt, die Röhrenspinne! Du kennst Dich ja gut aus! Sie ist hinreißend :-)
AntwortenLöschenJa, der Flexitarier in mir wird auf eine harte Probe gestellt. Ich versuche nach wie vor so wenig Fleisch wie möglich zu essen, aber das ist oft nicht möglich, weil es keine vegetarischen Gerichte gibt. Trotzdem nutze ich jede Gelegenheit, auf Fleisch zu verzichten.