Nach 11 Stunden Schlaf war ich theoretisch munter, aber ich hatte so was von überhaupt keine Motivation aufzustehen, dass ich noch weitere 4 Stunden im Halbschlaf döste. Was erwartete mich schon da draußen? Leute, die ich nicht verstehe. Ich musste dringend Wasser kaufen, weil das Leitungswasser hier nicht gesund ist. Obst und Gemüse konnte ich nicht kaufen, weil dafür keine Saison war, Sport konnte ich nicht machen, weil hier alles nur aus viel befahrenen Straßen besteht. Was sehnte ich mich nach meinen Samstagmorgen-Problemen zu hause zurück, wo es lediglich darum ging, zu entscheiden, ob wir bei Starbucks frühstücken wollen oder zu Hause. Wo ich meinen gesunden Lebensstil führen und gut zu meiner Umwelt sein konnte. Aber so ist das nun mal, wenn man aus seiner Kompfortzone unbedingt raus will, muss man Abstriche machen. Ich hab’s doch gewollt, das Abenteuer, wo ich nicht genau wusste, was auf mich zukam. Fremdes Land, fremde Kultur, fremde Sprache… Wenn ich das alles bewältigt haben würde, würde ich rückblickend über meine Ängste nur lachen können. Also erhob ich mich gegen 12Uhr schweren Herzens aus dem Bett, schaute aus dem Fenster und wurde mit einem tollen Bergpanorama belohnt, das in der Sonne strahlte. Zum Frühstück hatte ich einen Joghurt und dann gings mit Stadtplan los Richtung Fußgängerzone in der Innenstadt. Obwohl mir die kyrillischen Buchstaben im Grunde bekannt waren, kam ich mir vor wie ein Analphabet. An jeder Straßenecke musste ich stehenbleiben und Buchstabe für Buchstabe einzeln entziffern, bevor ich das Wort zusammensetzen und mit meinem Stadtplan vergleichen konnte. Natürlich versuchte ich auch jedes Plakat zu entziffern und jede Ladenbezeichnung herauszufinden. Manchmal waren es internationale Bezeichnungen nur eben anders geschrieben. Da freute ich mich dann wie ein Schneekönig, dass ich herausgefunden hatte, dass hier eine Apotheke war, dort ein Supermarkt, ein Optiker oder ein Internetcafe. Die Straßen sind hier alle schnurgerade und führen von Süd nach Nord oder von Ost nach West. Und auf ihrer gesamten Länge haben sie immer die gleiche Bezeichnung. Das machte es recht einfach, sich hier zurecht zu finden. Alles andere als einfach dagegen war die Bewältigung der Fußwege. Eine Bergtour hätte nicht gefährlicher sein können. Löcher, Gräben, offene Kanaldeckel und Schlammflüsse ließen wenig Spielraum, mal den Blick geradeaus zu richten. Aber selbst dann hätte man nur dreckige, verkommene, graue Häuser gesehen. Streunende Hunde, Müllberge, Schutthaufen, alles lieblos und schmucklos. Es sieht aus, wie die meisten es von ärmlichen Ostblock-Vorstädten kennen. Ich habe kein einziges Foto geschossen.
Die Menschen allerdings, die hier zusammen mit mir die Fußwege frequentierten, waren fast durchweg jung und schick angezogen. Die jungen Frauen natürlich mit den obligatorischen hohen, schmalen Absätzen und viel Fell. Und obwohl die meisten einen unverkennbaren asiatischen Touch haben, wurde ich kein bisschen angestarrt. In Almaty treffen sich so viele unterschiedliche Nationen, dass man wohl alles schon mal gesehen hat. Offensichtlich passte ich hier so gut ins Stadtbild, dass ich im weiteren Verlauf 2 mal von Leuten angesprochen wurde, die wahrscheinlich nach dem Weg fragen wollten. Obwohl ich mir Sätze wie „Ich spreche kein Russisch“ sorgsam zurechtgelegt hatte, konnte ich nur mit einem panischen Gesichtsausdruck reagieren und „Sorry“ brummeln. Was fragen die auch gerade MICH?
Ich bin offensichtlich an einer der Hauptverkehrsstraßen entlang spaziert. Der Autostrom war unglaublich und riss einfach nicht ab. Spuren gibt es nicht, also fahren die Autos mal zu zweit, mal zu dritt nebeneinander, je nach dem wie breit die Straße gerade war, ob Gegenverkehr kam, wie groß die Löcher und Huckel auf der Straße waren oder wie lieb man sein Auto hatte. An jeder Kreuzung befand sich eine Ampel. Meistens wurde durch Sekundenanzeige mitgeteilt, für wie lange man noch rot bzw. grün hatte. Dies veranlasste einige Autos dazu, schon einige Sekunden vor dem Grünwerden loszufahren. Und überhaupt gab es keine Übergangsphase zwischen grün und rot, d.h. wird es für die einen rot, haben die anderen im selben Augenblick grün. Gerade für mich als Fußgänger war das immer ein Abenteuer, wenn mitten auf der Straße die Ampel umsprang, konnte ich damit rechnen, dass die Autos auch sofort losfuhren. Also ein gelegentlicher Sprint musste immer drin sein.
Am Anfang der Fußgängerzone befand sich ein Markt, auf dem vor allem Obst, Gemüse und Fleisch verkauft wurde. Da ich mich nicht im Stande fühlte, um ein paar Bananen zu feilschen, spazierte ich nur umher. Das Fleisch wurde, wie das Obst, einfach auf Tischen dargeboten, ohne Kühlung und ohne Abdeckung. Ganze Vögel mit abgetrennten Köpfen, genauso wie große Fleischteile von irgendeinem Gradfresser, die von 2 Männern hinter dem Stand auf einem Holzklotz mit einem Beil in „handliche Stücke“ geschlagen wurden. Zum Glück war keiner von den Verkäufern aufdringlich und so traute ich mich, immer mal wieder einen Blick zu riskieren. Wie das so ist bei Fleisch, das eine Weile offen herum liegt, war es an den Ecken bereits trocken und wellig. Aber irgendwie trotzdem noch begehrte Ware.
Ich ging weiter durch eine kleine Mall mit teuren Läden und war eigentlich auf der Suche nach einem Supermarkt, denn dort könnte ich vielleicht Bananen ohne Feilschen kaufen und vor allem Wasser. Die Wege Richtung Süden, also zurück zu meinem Hotel gehen alle Bergauf, weil ja hinter dem Hotel die Berge anfingen. Also wurde mir beim „Aufstieg“ entsprechend warm. Es waren hier schätzungsweise 7 oder 8 Grad, wirklich angenehm. Beim erstbesten Supermarkt kehrte ich ein und weil ich es nicht mehr weit bis zum Hotel wähnte, kaufte ich eine 5-Liter-Flasche Wasser, Kirschsaft, 6 kleine Mohnbrötchen und Almette für ca. 4 Euro, wobei Almette alleine schon 2 Euro gekostet hatte. Die Bananen und das andere Obst in diesem Supermarkt sahen so ungenießbar aus, dass ich darauf verzichten musste. Wo sollte ich jetzt bloß meine Vitamine herbekommen? Und so langsam fühlte ich mich auch immer kranker mit geschwollenen Lymphknoten und diesen Schweißausbrüchen, die aber auch vom mageren Frühstück kommen konnten. Der Rückweg zog sich eine ganze Weile hin und auch wenn es hier offensichtlich üblich ist, sich an den Straßenrand zu stellen und die Hand rauszuhalten, um gegen Geld mitgenommen zu werden, fühlte ich mich auch dazu nicht imstande und marschierte keuchend gen Hotel.
Kochledergar und fix&fertig kam ich dort an und machte mich wie ein Wolf über die Mohnbrötchen mit Almette her. Und ziemlich deprimiert überlegte ich, wie ich die 3 Monate hier überstehen sollte.
Der Tag nahm eine erfreuliche Wende, als ich abends von Heikos Familie zum Abendessen eingeladen wurde. Da ich kurz mein Obst-Problem erwähnt hatte, machte mir Wiebke, Heikos Frau, das Angebot, mit mir zusammen auf den „Green Basar“ zu gehen. Und tatsächlich, dort gab es plötzlich alles, was ich brauchte. Mandarinen, Äpfel, Bananen und überall standen Preise dran. Wiebkes Russisch ist inzwischen ganz gut und da merkte ich auch, wie herzlich die Leute hier sind. Jeder verwickelte uns bzw. Wiebke, ich stand nur doof daneben, in ein Gespräch, wo wir denn herkämen und was wir hier täten. Die Leute lächelten, waren interessiert und aufgeschlossen und es hat wirklich Spaß gemacht, hier einkaufen zu gehen. Also, erste Aufgabe für mich: unbedingt Russisch-Unterricht nehmen. Ich war auf einmal so versöhnt mit der Stadt und richtig euphorisch. Danach gingen wir in ein Amerikanisches Restaurant, aßen Burger und dressierten zu dritt den Sack Flöhe, bestehend aus Magnus, 4 und Jana, 1, Heikos Kindern.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen