Unsere Unterkunft im Nationalpark hätte kaum einen größeren Kontrast zum Vortag bieten können. Diesmal waren wir in einem Hotel untergebracht, das mit neu hergerichteten Badezimmern aufwartete. Auf dem Flur zwar, aber immerhin im gleichen Gebäude. Das gestrige Abendessen war liebevoll zubereitet (wenn auch mal wieder Plov) und hat ganz gut geschmeckt. Auch das Frühstück war vielfältig. Bei jeder Mahlzeit dabei: in Fett gebackene viereckige Teilchen. Bei keiner Mahlzeit dabei: Messer. Hat schon mal jemand versucht, die Butter auf seinem Frühstücksbrot mit einer Gabel zu zerdrücken?
Ich hatte eine wunderbare Dusche und eine ruhige Nacht, obwohl sie diesmal für meinen Geschmack zu warm war. Zum Frühstück präsentierte sich das Wetter vielschichtig: auf der einen Seite war der Himmel blau, auf der anderen Seite wolkenverhangen. Es blieb also spannend. Des Weiteren erfuhren wir, dass zum heutigen Höhepunkt des Nauryzfestes das ganze Dorf auf den Beinen sein sollte und es Essen, Musik und Tanz für alle gäbe. Ich war ganz Ohr. Wann hat man schon mal die Gelegenheit ganz nah an einem Dorffest dabei zu sein? Ich wollte sehen, wie der Hammel geschächtet wird, wie die Menschen sich mit Wodka zuprosten und zu wilder Musik tanzen. Leider war Sascha in seiner Tagesplanung nicht sehr flexibel, faselte etwas von „langer Weg vor uns“ und hatte offensichtlich kein großes Interesse an Feierlichkeiten. Wir konnten ihn überreden, wenigstens einen Blick auf den Ort des Geschehens werfen zu dürfen, bevor wir abfuhren. Wir kamen auf einen hinterhofartigen Platz, auf dem am Rand Gemälde von Tieren des Nationalparks und ein paar ausgestopfte Exemplare ausgestellt wurden. Daneben mussten wir erstmal postieren, weil die Nationalparkleitung gerne ein paar Bilder von westlichen Touristen im Park haben wollte. Viele Menschen waren noch nicht anwesend, auf einer Bühne probte eine Band bei ganz furchtbar zu laut eingestelltem Mikro und ganz viele Kinder unterschiedlichen Altes flitzten umher. Alle waren sie schick angezogen, hatten bunte Schleifen im Haar und sahen so gar nicht ärmlich oder dörflich aus. Klar, die Sachen waren sicher alle billig aus dem nahen China importiert, aber sei’s drum. Die Kinder und auch die Erwachsenen hätte ich von einer Stadtbevölkerung nicht unterscheiden können. Die Hauptattraktion aber waren wir. Von überall her kamen neugierige Kinder, ließen sich bereitwillig fotografieren und blickten dann erstaunt auf die Bilder in der Kamera. Alle waren sie fröhlich und ausgelassen. Nur die Verständigung war schwierig. Als echte Kasachen sprachen sie nicht einmal mehr Russisch. Während die Eltern noch in Sowjetzeiten Russisch in der Schule lernen mussten, gibt es diesen Zwang nun nicht mehr. Ganz im Gegenteil: die Regierung Kasachstans (also der Herr Nazarbajev) fördert ganz bewusst die kasachische Sprache und versucht die Vorherrschung des Russischen abzulösen. Russisch war einfach nicht mehr in. Vielleicht lernten die Kinder nun eher Chinesisch in der Schule? Immerhin konnten die Nationalpark-Funktionäre Russisch und so verabschiedeten sie uns mit großem Dank (ßbassiba balschoi) und guten Wünschen.
Als ich wenig später aufgrund eines uns entgegenkommenden Pferdetransporters auch noch erfuhr, dass zum heutigen Feiertag ein großes Pferderennen angesetzt war, war ich endgültig mit dem Arsch rum und verfluchte meinen russischen Guide, der ja unbedingt im Hellen nach Hause fahren wollte. Was interessieren mich irgendwelche ollen Felszeichnungen (unser heutiges Zwischenziel), wenn ich bei einem Frühlingsfest mit Pferderennen in einem abgelegenen Dorf so richtig in das kasaschische Leben eintauchen könnte? DAS sind doch Erlebnisse die man nie vergisst!
Aber nein, wir schoben uns bei schönstem Sonnenschein einen Pass entlang, den angeblich schon Dschingis Khan seinerzeit allerdings ohne 4WD-Bus bewältigt haben soll. Hier war alles noch tief verschneit, selbst die Straßen waren mit dicker Eisschicht überzogen und so fuhren wir langsam durch die Berge und mir blieb nur, mich zu ärgern und aus dem Fenster zu gucken.
Kühe schlabbern Schmelzwasser vom Asphalt:
Wir fuhren und fuhren, kamen aus den Bergen in die immer weniger verschneiten Ebenen, hielten kurz zum Tanken, fuhren weiter und weiter, erblickten den großen Stausee Kapschagai, bogen aber in die andere Richtung ab, wenig später auf eine unbefestigte, arg zerpflügte Straße, auf der man wieder nur 20km/h fahren konnte und es wurde Mittag und dann Nachmittag und ich wurde immer ungeduldiger. Was saß ich denn hier in diesem blöden Auto? Hab ich denn tatsächlich so eine Rentnertour gebucht, in der man nur an allem vorbeifährt? Ging nicht das Sprichwort: Was man nicht zu Fuß erwandert hat, das hat man nicht gesehen? So hätte ich mir auch einen Film anschauen können und hätte danach genauso viel von Kasachstan „gesehen“ wie aus dem Auto heraus. Ich will doch die Landschaft erleben und nicht nur angucken! Ich fing an, den ganzen Trip und Saschas fehlende Flexibilität zu verfluchen. Dann kamen wir wieder mal am Ile-Fluß an, an dem es an dieser Stelle hohe Kletterfelsen und uralte Felszeichnungen zu sehen gab. Sobald das Auto angehalten hatte, stürzte ich hinaus und verschwand in Richtung Kletterfelsen und schwor mir, in den nächsten Stunden nicht wieder dort einzusteigen. Ich kraxelte im Eiltempo auf eine Anhöhe und dort erst konnte ich einen ersten entspannten Blick auf die wunderschön hügelige Landschaft am anderen Flussufer werfen, die fast irisch wirkte.
Ein paar Leute hatten im wahrsten Sinne des Wortes ihre Zelte aufgeschlagen, einige kletterten an Seilen am Felsen entlang, überall war Frühlingsstimmung, schließlich war heute Feiertag für alle und die Sonne schien, was das Zeug hielt. Mir ging es allmählich besser. Was für ein phantastischer Ausblick! Ich kletterte noch ein wenig auf der Anhöhe herum, stieg dann für eine andere Perspektive wieder ab und lief prompt Sascha in die Arme, der meinen Unmut nicht mitbekommen zu haben schien und der mir unbedingt die blöden Felszeichnungen zeigen wollte. Okay, es war ein uralter Buddha. Hui. Toll, darf ich jetzt weiterlaufen?
Immer noch gut gelaunt wollte mir Sascha einen besonders tollen Ausguck zeigen und so kraxelten wir gemeinsam auf einen der Kletterfelsen, allerdings von hinten, wo man nicht klettern, sondern laufen konnte. Naja, was soll ich sagen? Von da oben war es natürlich wirklich besonders schön. Ich war etwas versöhnt, erzählte aber Sascha von meinem Unbehagen. Aber was hätte er auch machen sollen, Programm ist Programm.
Schicksalsergeben pflanzte ich mich danach wieder ins Auto und ließ mich den Rest des Tages mit kurzem Zwischenstopp zum Schaschlik-Essen nach Almaty kutschieren. Unterwegs nahmen wir noch Vater&Sohn mit im Auto mit, die auf dem Weg zu einem Nauryz-Fest in der „Nachbarschaft“ waren. Da Nachbarschaft aber nichts mit Nähe zu tun hat und wir sie allein in der Pampa antrafen, nahmen wir sie mit. Der Vater trug eine eigenartige Mütze und beim Gespräch stellte sich heraus, dass er Kirgise war und seine festliche Kirgisenmütze trug. Sein ca. 5jähriger Sohn hatte zwar auch eine, aber leider zu Hause vergessen. Da er, der Vater, also hier in Kasachstan eine Uigurin geheiratet hatte, wurde der Sohn mehrsprachig aufgezogen. Obwohl er bei uns im Auto kein Wort sagen wollte, sprach er angeblich kirgisisch, uigurisch und kasachisch. Na, dachte ich, hoffentlich bringt das dem Jungen mal was.
Auf einer langen Ausfallstraße, die einzige, die Almaty mit dem Norden des Landes verband, kamen wir wieder in die Stadt, was man schon daran merkte, dass sich die Plakate mit dem freundlichen Antlitz des Herrn Nazarbajev häuften und immer wieder für sein Programm Kasachstan 2030 geworben wurde. (Offensichtlich haben die ehrgeizigen Kasachen kein geringeres Ziel, als in 20 Jahren zu den 10 reichsten Ländern der Welt zu gehören).
Wir wurden alle von Sascha bis vor die Haustür gebracht und verabschiedeten uns mit vielem Danke und „bis zur nächsten Tour“.
Fazit: Die Steppe: wahnsinnig interessant und abwechslungsreich und auf ihre Art wunderschön. Die Tour: Bitte nicht noch mal SO.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Das sind ja tolle Bilder - besonders die Steppenfotos. Ich bin immer gespannt dabei, wenn ich in Deinem Blog lese. Man merkt auch, dass Du einen Schreibkurs besucht hast. Liest sich echt gut. Finde übrigens Dein Russisch in deutschen Buchstaben sehr lustig. :-) LG, Eileen
AntwortenLöschenTja, Christiane, da bleibt Dir wohl nichts anderes übrig, als selbst mal auf ein Hottehüh zu steigen und das Pferderennen nachzustellen. Ansonsten: Superschöne Bilder und es macht Spaß zu lesen.
AntwortenLöschenViele Grüße von der
Ex-Irren