Samstag, 20. März 2010

Meine Steppenerfahrungen: Schneesturm, Schaschlik, schöne Schluchten

Pünktlich um 8 wurde ich von Sascha, unserem Guide für die nächsten 3 Tage abgeholt. Die Wettervorhersage hatte für Almaty nicht so besonders geklungen, aber angeblich sollte das Wetter in der Steppe ja schon ein wenig frühlingshafter sein als hier so nah an den Bergen. Wir verließen die Stadt Richtung Norden bei Regenwetter. Da der Norden als laut und unsicher galt, hatte ich mich noch nicht so weit vorgewagt. Dass, was es jetzt aus dem Autofenster zu sehen gab, inspirierte mich auch nicht gerade. Die Straße (wohlgemerkt die Hauptverbindung zwischen Almaty und China) wurde zusehends schlechter, bald gab es mehr Löcher als Asphaltdecke und wir schlängelten uns trotz 4-Rad-angetriebenen offroad-tauglichen Minivan zwischen den größten Hindernissen hindurch. Leider wurde im gleichen Zuge auch das Wetter schlechter. Wir beobachteten, wie die Temperatur auf der Anzeige im Auto fiel und die Regentropfen zu immer dicker werdenden Schneeflocken wurden. Die Dörfer, durch die wir hindurch fuhren, ertranken im Müll und Schlamm, nasse und dreckverkrustete Hunde und Kühe tummelten sich vereinzelt am Straßenrand, alles war hässlich, grau und ungemütlich. Meine Vorfreude auf die Steppe wurde spürbar gedämpft, die Aussicht aus dem Autofenster ließ sehr zu wünschen übrig und aufgrund der Straßenverhältnisse kamen wir nicht wirklich vorwärts.
Nach 3,5 Stunden Fahrt legten wir den ersten Stop ein, um in einem uigurischen Dorf Schaschlik zu essen. Das Dorf hieß Bajseit. Auch hier war es kalt und ungemütlich, die Straße und vor allem der Straßenrand bestand nur aus Schlamm mit Schlammpfützen. Was aber nicht hieß, dass die jungen Frauen nicht auf den obligatorischen mega-dünnen Highheels durch die Gegend stöckeln konnten. Es ist erstaunlich, dass selbst auf dem Lande bei schlechtestem Wetter die Weiblichkeit so hochgehalten wird, da kam ich mir in Jeans und Wanderschuhen wieder regelrecht trampelig vor. Sascha, der die Tour schon unzählige Male mit Touristen gemacht hatte, führte uns zum angeblich besten Schaschlik-Stand (was wir ihm anstandslos glauben mussten, denn der Schaschlik-Meister war sein Freund), wo wir unsere Bestellung aufgaben und dann schlenderten wir noch gemeinsam über den Straßen-Markt, wo das frische Obst aufmunternde farbige Kontraste in die matschige Landschaft setzte. Zurück beim Schaschlik-Meister nahmen wir in der Gaststube Platz, die aus einem kleinen Raum mit 3 Tischen und vielen Hockern bestand. Hier hatte bereits eine Großfamilie Platz genommen und der Tisch war überladen mit Tellern und Essenresten. Wir bekamen Chai, den typischen schwarzen Tee mit Milch, und frisches Brot und dann waren auch schon unsere Schaschliks fertig. Schaschlik hier, im Ursprungsland, hat wenig mit unseren Fleischspießen in Deutschland zu tun, wo sich die mundgerechten Fleischstücke mit Gemüse abwechseln. Hier bekommt man einen Metallspieß mit Fleisch, das mitunter ein ganzes Stück ist. Das Fleisch wurde 1,5 Stunden in Kiwi-saft eingelegt, was es so schön zart gemacht hat. Und es hat auch gar nicht schlecht geschmeckt. Dazu wurden rohe Zwiebeln auf einem Teller angereicht, die man sich zum Glück nach Bedarf einhelfen konnte. Sascha war in der Zwischenzeit noch mal losgespurtet, um das beste Fladenbrot der Welt zu besorgen, das es nuuur in diesem Dorf geben sollte. Und das war wirklich absolut fantastisch. Ebenfalls gespickt mit vielen Zwiebeln und von so einer lockeren Konsistenz, da hätt ich mich reinsetzen können. Zu schade, dass es das in Almaty nicht gibt. Wir nahmen jedenfalls eine Tagesration davon mit. Nachdem Chai (sehr gewöhnungsbedürftig mit Milchbröckchen und Teekrümeln drin), Brot und Schaschlik verputzt waren und wir uns neugierigen Blicken und Fragen gestellt haben, fand ich das Ganze doch eine sehr originale kasachische – okay, uigurische Erfahrung, die ich alleine sicher nicht gemacht hätte und freute mich auf den weiteren Verlauf.

Sascha mit dem weltbesten Brot:
Hier kommt der Chai:
Mein erstes Schaschlik... hmmmm!

Bevor wir weiterfuhren, mussten wir nur noch die öffentlichen Örtlichkeiten aufsuchen und da bin ich ganz schnell von meiner Euphorie wieder heruntergekommen. Erstmal wurde bezahlt: 20 Tenge (bittet rechnet selbst durch 198). Dann gab es eine Wand, auf der die richtige Richtung für Männlein und Weiblein angezeigt war und hinter der Wand packte mich das kalte Grauen. In einem Holzverschlag waren im durchnässten Holzboden 4 Löcher nebeneinander. UND DAS WAR’S! Keine Kabinen, keine Trennwand, keine Privatsphäre, keine trockenen Schuhe, kein Papier, kein Waschbecken, kein Wasser. Nur: Loch aussuchen, hinhocken, Hose runter, zielen. Und auf einer öffentlichen Toilette am Markttag ist man nicht gerade allein. Ich hab in diesem Moment jedenfalls Essen und Trinken für die nächsten 3 Tage abgeschworen. Und wo habe ich mein Desinfektionsspray an solchen Tagen? In der falschen Handtasche.

Wir fuhren weiter und da das Wetter immer schlechter und kälter wurde, entschieden wir, einen Museumsbesuch einzuschieben, da das Wetter im Canyon, unserem Hauptziel für heute, ja kaum noch schlechter werden könnte. Im Dorf Nura besuchten wir das einzige Adlerjagd-Museum Kasachstan. Es wird von Privatleuten betrieben, deren Familien sich der Jagd mit Hunden und Adlern verschrieben haben. Als erstes durften wir die Käfige mit den großen Jagdvögeln ansehen, die hier Berkut heißen. Der Frau vom Museum war es ein bisschen unangenehm, weil sie die Käfige noch nicht sauber gemacht hatte, aber eigentlich war das Museum ja geöffnet. Es gab 3 Adler, die auf einem Ast hockten, auf dem sie angebunden waren, und die sich lautstark mit ihren Nachbarn im anderen Käfig, die sie allerdings nicht sehen konnten, unterhielten. Dazwischen war ein Gehege mit 3 Jagdhunden, den Tarzois, einer Art Windhund mit kurzem Fell und ringeligem Schanz. In dem Käfig schien tatsächlich seit 1 Woche kein Häufchen mehr entsorgt worden sein. Bevor wir uns noch weiter umsahen, bat uns die Dame schnell ins Haus, in den Museumsteil. Hier gab es einen Raum, in dem in der Mitte alle möglichen Adlerjagdhilfsmittel ausgestellt wurden und an den Wänden hingen Bilder und Felle erlegter Tiere. Ehrfürchtig, ohne etwas zu berühren, wir waren schließlich im Museum, schauten wir uns um. Stolz zeigte uns die Dame Geschenke von Gästen aus aller Welt und als ich eine Frage zu einem der ausgestellten Utensilien hatte, griff sie in die Vitrine, zog es hervor und drückte mir die Adleraugenabdeckhaube in die Hand. Und bei der nächsten Frage hatte ich den Adlerfütterungsbehälter in der Hand. Besonders interessant: der Weil-auf-langen-Ritten-schwer-wird-Adler-Arm-Abstütz-Bolzen. Dann hatte ich plötzlich eine original kasachische Adlerjäger-Mütze auf, ein Tier auf der Schulter und Pfeil und Bogen in der Hand. Das ist mal Museum zum Anfassen! Ich war begeistert!
Als alles angetatscht war, blätterten wir in Büchern, die ihren Sohn bei der Adleraufzucht zeigten, großartige Schmuckbänder mit unglaublich schönen Bildern von der Beizjagd.

Großer Jäger Nr. 1...
... und Nr. 2
Ausstellungsstücke im Museum:

Jetzt wurde es lustig:
Märchenstunde auf kasachisch:

Sascha drängte zum Aufbruch, schließlich hatten wir noch einen weiten Weg vor uns. Wir fuhren wieder durch Schneesturm, wenig Sicht, mit eingefrorenen Scheibenwischern und immer mehr Zweifeln daran, dass es im Canyon wirklich schöner sein sollte. Sascha hatte uns anfangs noch versichert, dass im ganzen Umkreis Unwetter sein könne, im Canyon ist es immer schön. So langsam hielt er das aber auch nicht mehr für möglich. Als wir am Eingang zum Nationalpark auch noch nicht einmal zahlen mussten, weil kein Parkwächter da war, versicherte er uns stattdessen, dass wir die ersten Touristen seien, die den Canyon bei Schneesturm erleben würden. Und so war es dann auch. Der Canyon Charyn, nach dem gleichnamigen Fluß, der darin fließt, soll angeblich das kasachische Pendant zum Grand Canyon in America sein. Naja, ich kenn den ja nicht, aber der Canyon Sharyn war selbst bei Minusgraden, schlechter Sicht und Schneesturm, der einen fast von den Füßen riss, ein Erlebnis. Okay, wir haben keinen tollen Ausblick gehabt, wir konnten grade mal die andere Seite des Canyons erahnen. Wir sahen keinen blaugrün schimmernden Fluss am Grund, wir haben keine phantasievollen Figuren in den Felsen gesehen und keine Zikaden sägen hören. Aber hey, Canyon bei Sonnenschein kann doch jeder! Wir waren die einzigen! Und ich fand den Schneesturm aufregend. Der ganze Canyon-Besuch wurde dadurch eine Spur abenteuerlicher. Absperrungen, befestigte Wege oder Sicherheitsvorkehrungen gab es hier nämlich nicht. Jeder kann selber bestimmen, bis wohin er sich vorwagt, wo er langlaufen oder auf welchen Felsen kraxeln will. Abrutschgefahr? Sturzgefahr? Unbedingt! Und trotzdem, meinte Sascha, ist ihm noch nie ein Unfall zu Ohren gekommen. Ob das nur an der schlechten Mediendurchdringung in Kasachstan liegt?
Natürlich habe ich mich nicht in Gefahr begeben, aber aufregend war’s trotzdem, ich konnte gar nicht genug davon bekommen, im Sturm rumzuhopsen, trotz rot gefrorener Nase und vom Wind tränenden Augen.
Aber auch hier hatten wir nicht viel Zeit zu verweilen, mussten uns schleunigst zum nächsten Canyon aufmachen.

Straffer Wind am Canyon:
Wenig Aussicht:Was mir diese Felsformation wohl sagen will?

Das hält nicht mehr ewig:
Der Schneesturm wurde immer dichter, wir fuhren jetzt durch felsiges Gebiet. Am Straßenrand rotteten sich Pferde und Kühe ganz dicht zusammen, um der Kälte standzuhalten. Durch die Autotür auf meiner Seite drückte sich der eisige Wind hinein. Auf den Straßen lag eine dicke Eisschicht. Autos mit Zweiradantrieb mussten am Rand stehenbleiben, da sie die Anhöhen nicht mehr bewältigen konnten. Mehrere Fahrer taten sich zusammen und machten mit einer Schaufel Erde locker, die sie auf die Straße streuten. Fast triumphierend fuhr unser kleiner 4Rad-Antrieb-Minivan zwischen den Gestrandeten hindurch.

Arme Ponies:


Auf der anderen Seite des Passes ließ der Schneesturm plötzlich aber endlich nach, dann auch der Schnee und plötzlich konnte man wieder weiter als 10 Meter gucken und vor allem schneller fahren. Fröhlich beschwingt erreichten wir den Canyon Temerlik.
Hier war es zwar auch kalt, aber bei weitem nicht so windig und vor allem hatten wir klare Sicht. Beide Seiten des Canyons waren auf gleicher Höhe und wenn man von weiter weg geschaut hätte, hätte man es glatt für eine durchgehende Ebene gehalten. Der offensichtliche Riss ist durch ein frühzeitliches Erdbeben entstanden. So frühzeitlich, dass sich am Grund des Canyons ein 10.000 Jahre altes Ökosystem aus einem Eschenwald entwickeln konnte. Dieses Stück Natur sah zwar grau, unaufgeräumt und verdreckt aus wie so vieles hier, aber allein das Wissen, dass dieser Wald schon vor so vielen Jahren hier stand und mal nicht von Menschenhand aufgeforstet wurde, flößte einem Respekt ein.
Auch hier gab es wieder keine störenden Absperrungen und so konnte ich in Ruhe alles erwandern, was ich mir zutraute bis das Licht weniger wurde, was ich aber nur daran merkte, das plötzlich meine Kamera meinte, mit Blitzlicht fotografieren zu müssen. Und beim abschließenden Aufstieg zurück zum Auto habe ich sogar ein Stück blau am Himmel gesehen. Ein gutes Zeichen für morgen, meinte Sascha.

Im Eschenurwald:
Hug a tree:

Ein Stückchen Weg trennte uns noch von unserer Übernachtungsmöglichkeit. Im Dämmerlicht kamen wir an unzähligen Pferdeherden vorbei, die zur Nacht ins heimische Dorf getrieben wurden. Auch Kühe und Schafe wurden in Sicherheit gebracht. Schließlich kommen besonders im Winter die Wölfe und Koyoten auf Futtersuche aus den Bergen.
Unsere Unterkunft befand sich im einzigen Wald, den die Steppe zu bieten hatte. Hier hatte der frühere Generalsekretär der Kommunistischen Partei Kasachstans, also zu Sowjetzeiten der Oberguru im Land, seinen Landsitz bauen lassen, auf den er sich zum Jagen und Entspannen zurückgezogen hatte. Nun, die Sowjetunion gibt’s nicht mehr, den Herrn Kunajev auch nicht und so wurde um seine Datscha noch weitere Holzhäuschen herum gebaut und an Gäste des Nationalparks vermietet. Mittlerweile sind allerdings die Wasserleitungen und die Heizung in die Brüche gegangen. Eine Reparatur im Nationalpark muss die Regierung bezahlen und wenn sie es nicht tut, dann bleibt es eben so wie es ist. Will heißen: ich hatte ein Bett in einem Holzhaus, mehr nicht. Die Toilette befand sich außerhalb, inmitten aller Holzhäuser. Diesmal war es ein Loch im Betonboden. Nur mäßig begeistert nahm ich mein Abendessen, bestehend aus Plov, dem Nationalgericht aus ölgetränktem Reis mit Möhren und Hammelfleisch, ein. Da es auch im Haus unheimlich kalt war, saß ich in voller Montur am Tisch und schlüpfte fast in derselben in meinen Schlafsack. Ohne Händewaschen, Zähneputzen oder sonstige hygienischen Grundregeln. Also eigentlich war es wie zelten, nur viel kälter.

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